17.11.2020

Prof. Clemens Fuest im Interview: „Die Globalisierung zurückzufahren, ist der falsche Ansatz“

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Herausforderungen sind in der Weltwirtschaft allgegenwärtig und immer wiederkehrend. In den vergangenen Jahren haben uns der Brexit oder die Handelsauseinandersetzungen zwischen den USA und China immer wieder stark beeinflusst. Was aber die Weltwirtschaft ab dem März 2020 mit der Corona-Pandemie ereilte, ist beispiellos und wird uns nicht nur in Deutschland über Jahre hinweg beschäftigen.

Wichtige Hinweisgeber waren in diesen Krisenzeiten die Wirtschaftsinstitute, die durch ihre Untersuchungen und Einschätzungen für ein realistisches Bild der öko-nomischen Lage gesorgt haben. Über die Corona-Krise und ihre Auswirkungen haben wir mit Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts in München, gesprochen.

Sind Sie eher Marathonläufer oder bevorzugen Sie die Sprintstrecken? 

Prof. Clemens Fuest: Als Schüler bin ich am liebsten Mittelstrecken gelaufen, also 800 oder 1.000 Meter. Da muss man Ausdauer mit erheblicher Geschwindigkeit kombinieren. Heute gehe ich lieber wandern.

Welche läuferische Fähigkeit benötigen die deutschen Unternehmen aktuell? 

Prof. Fuest: Die Überwindung der Krise ist einem  Mittelstreckenlauf nicht unähnlich. Es sind massive Anstrengungen erforderlich und das für eine längere Zeit. Denn es wird noch Monate, vielleicht auch ein oder zwei Jahre dauern, bis die Krise überwunden ist. 

Unser Magazin-Jahresthema lautet „weitermachen“. Welche Bedeutung hat der Begriff 
„Weitermachen“ im ökonomischen Sinn für Sie?

Prof. Fuest: Im Kontext der Corona-Krise verstehe ich den Begriff so, dass die Unternehmen nicht warten können, bis die Krise vorbei ist. Die Geschäfte müssen weiterlaufen. Das bedeutet, unter erschwerten Bedingungen zu arbeiten, aber sich trotzdem nicht beirren zu lassen. 

Wie gut waren die deutschen Unternehmen auf die Krise vorbereitet?

Prof. Fuest: Viele Unternehmen in Deutschland haben sich nach der Finanz- und Eurokrise eine gute Markt-position erarbeitet und Reserven gebildet. Das hilft ihnen in der Krise. Trotzdem war wohl kaum jemand auf eine Pandemie vorbereitet. Auf ein so ungewöhn-liches Ereignis kann man sich kaum vorbereiten. 

Welche Lehren sollten die Betriebe aus den Ereignissen im Jahr 2020 ziehen? 

Prof. Fuest: Man muss in guten Zeiten Reserven bilden und darf sich nicht darauf verlassen, dass Schönwetter-Perioden anhalten. Gleichzeitig ist es wichtig, in Krisensituationen die Nerven zu behalten und neue Chancen zu suchen.  

Wann glauben Sie, könnten die Folgen der Krise überwunden sein?

Prof. Fuest: Ich rechne damit, dass sich die Wirtschaftslage im Jahr 2022 wieder normalisiert. Folgen der 
Krise werden wir allerdings weitaus länger spüren. Die gestiegenen privaten und öffentlichen Schulden werden uns viele Jahre lang belasten. Schulausfälle werden sich bei vielen Schülerinnen und Schülern leider auf die gesamte Erwerbsbiografie auswirken. Nicht zuletzt werden in dieser Krise viele Existenzen zerstört, Unternehmen müssen schließen. Für die Betroffenen sind das dauerhafte Schäden. 

Es werden immer mehr Stimmen laut, dass die Globalisierung zurückgefahren werden müsse. Ist das für Sie der richtige Ansatz? 

Prof. Fuest: Das ist meines Erachtens der falsche  Ansatz. In dieser Krise haben internationale Wertschöpfungsketten sich zwar als anfällig erwiesen, aber daraus folgt nicht, dass man die Globalisierung abbauen sollte. Es wäre falsch zu glauben, dass die Beschränkung auf heimische Produktion und Absatzmärkte zu mehr Sicherheit führt. In der Eurokrise zum Beispiel waren die europäischen Märkte beeinträchtigt. Und es war wichtig für die deutsche Wirtschaft, dass die USA und die Schwellenländer besser liefen.

Der Außenhandel ist im Laufe des Jahres 2020 massiv eingebrochen. Wie kann er wieder angekurbelt werden und wird er jemals wieder das Vor-Corona-Niveau erreichen? 

Prof. Fuest: Der Außenhandel wird wieder das Vor-Krisen-Niveau erreichen, aber es wird dauern. Nationale Wirtschaftspolitik kann wenig tun, um den Außen- handel anzukurbeln. Auf jeden Fall sollte die Politik sich dafür einsetzen, Protektionismus zu verhindern.

Die Digitalisierung der Unter­nehmen hat im laufe des Jahres einen gehörigen Schub erfahren. Wie nachhaltig ist diese Entwicklung? 

Prof. Fuest: Die Digitalisierung wird meines Erachtens dauerhaft ein höheres Niveau haben. Viele di­gitale Techniken, die während der Krise verstärkt eingesetzt wurden, wird man auch danach stärker ver­wenden, weil man sich daran gewöhnt und entsprechende Kompetenzen erwor­ben hat. 

Hat Deutschland gesellschaftlich und ökono­misch in der Krise richtig reagiert? Was können wir für die Zukunft daraus lernen? 

Prof. Fuest: Für eine Bewertung ist es noch zu früh. Bislang habe ich allerdings den Eindruck, dass so­wohl die Unternehmen mit ihren Beschäftigten als auch die Politik einschließlich des Gesundheits­systems in Deutschland gut reagiert haben. Es war richtig, die Wirtschaft massiv zu stützen. 

Wie optimistisch sind Sie für das Wirtschaftsjahr 2021? 

Prof. Fuest: Ich bin vorsichtig optimistisch - ich erwarte, dass die wirtschaftliche Erholung sich fort­setzen wird. Viel wird aber davon abhängen, wie die Pandemie weiter verläuft und wie die Politik auf neue Ausbrüche reagiert. Es muss darum gehen, das Goronavirus weiter einzudämmen. Wenn das gelingt, steht einer wirtschaftlichen Erholung im Jahr 2021 nichts entgegen. 
 

Das ifo Institut und der AGA

Prof. Dr. Dr. h.c. Giemens Fuest ist seit 2016 Präsident des ifo Instituts - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V .. Die Münchner Forschungsein­richtung analysiert die Wirtschaftspolitik und ermittelt monatlich den ifo-Geschäftsklima­index. 

Den AGA Unternehmensverband verbindet mit dem Institut eine lange Zusammenarbeit: So hatten die Institutionen 1971 zusammen den Wirtschaftstest des AGA entwickelt, der auch heute noch in dieser Form vierteljährlich an die Mitglieder des AGA verschickt wird. 2017 war Prof. Fuest Gastredner auf der Mitgliederversammlung des AGA.