16.11.2021

"Mit lauter Ronaldos wird das nichts"

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Der Hamburger Verkehrsverbund (hvv) verbindet über 20 Verkehrsunternehmen und etwa 3,5 Mio. Einwohner – auf 8.637 km² Verbundfläche. Wir haben mit Geschäftsführerin Anna-Theresa Korbutt darüber gesprochen, wie sich Mobilität verändert und wie man gemeinsam etwas bewegt.

Wie sind Sie in Hamburg am liebsten unterwegs?

Anna-Theresa Korbutt: Mit dem hvv natürlich. Ich besitze auch gar kein Auto, unter anderem, weil ich bisher nur in Großstädten gelebt habe, wo das entsprechende Angebot im ÖPNV da ist. Auf dem Land ist das natürlich etwas anderes, da braucht man ein Auto. Als Aufwachsende auf dem Dorf habe ich das selbst erlebt.

Was bedeutet für Sie Mobilität der Zukunft?

Korbutt: Die einfache Integration von Mobilität ins Leben. Spätestens im hohen Alter möchte ich nahtlose Mobilität erleben, also einsteigen und losfahren, ohne dass ich mich extra informieren muss.

Dafür müssen auch unterschiedlichste Verkehrsmittel zur Verfügung stehen, quasi der Ansatz von hvv switch. Mit dieser App erweitern Sie das Angebot des klassischen ÖPNVs um neue Mobilitätsangebote. Warum?

Korbutt: Weil wir Menschen nicht denken, ich fahre S-Bahn, Bus oder Fähre; wir möchten einfach vom Büro irgendwohin. Da gibt es bisher nur eine Mobilitätsform, die das direkt leisten kann, und das ist das Auto. Das muss aber genauso einfach sein mit anderen Mobilitätsformen. Dazu gehört es, dass wir über die klassischen Schienen- sowie Bus- und Fährangebote hinausschauen. Und da sind wir ganz schnell beim Thema Mikromobilität.

Also Fahrräder oder E-Scooter?

Korbutt: Genau. Mit hvv switch legen wir die Basis dafür, dass wir alle Mobilitätsformen relativ einfach miteinander vernetzen können. Wir möchten eine Grundflexibilität schaffen, sodass für jede Situation das richtige Fortbewegungsmittel bereitsteht. Dabei müssen wir auch das Thema einfache Kommunikation mitdenken, unter anderem mit gezielterer Routenplanung oder sogar integrierten Lieblingsrouten.

Ist es wirklich so wichtig, möglichst viele Mobilitätsangebote zu vereinen?

Korbutt: Unbedingt. Wir wollen so ein Gefühl von Freiheit schaffen. Alles was einschränkt, führt dazu, dass die Menschen wieder das eigene Auto nutzen. Integriert man nicht alle Angebote vollumfänglich, auch Carsharing, springen die Kunden ab.

Um das zu verhindern, arbeiten im hvv die unterschiedlichsten Verkehrsträger zusammen. Gelingt es gemeinsam mehr zu bewegen?

Korbutt: Ja, im hvv sehe ich, dass alle Stakeholder das gleiche Ziel haben. Sie möchten die Verkehrswende schaffen, sie tun alles dafür, um das Angebot so angenehm wie möglich zu gestalten. Es ist sehr abstimmungsintensiv, aber ich erlebe das nicht als Bremse. Im Gegenteil. Man spricht mit den Menschen und es kommt immer noch guter Input dazu. So wird aus einer guten Idee eine noch bessere.

Was können Unternehmen aus der Zusammenarbeit der Stakeholder lernen?

Korbutt: Es ist wichtig, dass alle das große Ganze sehen, und nicht nur sich selbst. Bei uns schaffen die Stakeholder es, ihr eigenes Profil zurückzunehmen und die Sachlichkeit in den Vordergrund zu stellen. Ich vergleiche das gerne mit der Fußballnationalmannschaft: Jeder einzelne dieser Spieler spielt bei einem tollen Verein, aber wenn sie für den DFB auflaufen, ziehen sie ihr Vereinstrikot aus, das Nationalmannschaftstrikot an und sind eine Mannschaft.

Aber wie schafft man das? Ist Kommunikation Key?

Korbutt: Es ist eine Mischung. Es kommt wirklich auf die Menschen an. Wenn es Menschen gibt, die zu sehr auf ihrem Standpunkt beharren, kommt man da schwer dran vorbei. Als Unternehmen brauchen Sie an den wichtigsten Spitzenpositionen Personen, die das richtige Mindset haben. Mit lauter Ronaldos wird das nichts. Auch Ronaldo muss den anderen Raum geben. Allein mit Kommunikation wird es schwer.

Im Oktober 2021 fand in Hamburg der IST Weltkongress statt. Welche Ankerprojekte der Hamburger ITS-Strategie begeistern Sie als hvv-Geschäftsführerin besonders?

Korbutt: Vor allem hvv Any, wo es darum geht, einfach einzusteigen und nach Nutzung abzurechnen. Das ist ein Produkt der Zukunft, besonders wenn man es kombiniert, wie zum Beispiel mit hvv switch oder Mikromobilität. Aber auch die autonomen Fahrprojekte sind spannend, insbesondere wenn man das in Richtung On-Demand-Verkehr denkt.

Warum ist es wichtig, auf internationaler Ebene – also auch bei einem solchen Weltkongress – an den Zukunftsthemen der Mobilität zu arbeiten?

Korbutt: Wir müssen uns mit den Menschen austauschen, die sich auskennen. Wenn alle anfangen, Dinge individuell zu erforschen und umzusetzen, kostet das doppelt so viel Geld und fünfmal so viel Zeit. Die Experten aus aller Welt können genau sagen, das geht, das geht nicht, das machen wir seit 30 Jahren oder das könntet ihr vernetzen.

Wo geht die Reise für den hvv hin?

Korbutt: Wir werden einen höheren Automatisierungsgrad erreichen, aber vor allem flexibler werden. Die Vernetzung von ÖPNV, Carsharing und Mikromobilität wird eine Form der Mobilität der Zukunft sein.

Foto: Bertold Fabricius