16.11.2021

"Zukunftsweisende Lösungsansätze entstehen durch Vernetzung"

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Die Deutsche Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt e.V. (DLR) koordiniert für die Bundesregierung die Aktivitäten im All. Wir haben mit Dr. Franziska Zeitler, Abteilungsleiterin Innovation & Neue Märkte, darüber gesprochen, welchen Einfluss die Weltraumforschung auf moderne Technologien hat und warum branchenübergreifende Zusammenarbeit so wichtig ist.

Der Weltraum erscheint unendlich weit weg, aber die Weltraumforschung spielt tatsächlich eine wichtige Rolle in unserem Alltag. Eine der wohl bekanntesten Weltraumtechnologien ist sicherlich das Navigationssystem im Auto, das auf Satellitensignalen basiert.

Dr. Franziska Zeitler: Das stimmt, und es gibt eine Vielzahl weiterer Beispiele. Technologien von der Rosat-Mission in den 90er Jahren – damals wurde erstmals der gesamte Himmel auf Röntgenquellen untersucht – finden wir heute etwa beim Dermatologen und Optiker. Denn eine damals eingesetzte und vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik weiterentwickelte Technologie nutzen Ärzte zur Hautkrebsfrüherkennung. Und die Poliertechnik für die Teleskope auf dieser Mission kommt jetzt bei der Anpassung von Gleitsichtbrillen auf unsere Sehstärke zum Einsatz.

Gibt es nicht auch ein Sportgerät, das es von der Internationalen Raumstation ISS auf die Erde geschafft hat?

Dr. Zeitler: Ja, das ist der Galileo-Trainer. Diese Rüttelplatte hält die Astronautinnen und Astronauten im All sehr effektiv fit, denn zehn Minuten auf diesem Gerät entsprechen einem 10-Kilometer-Lauf. Davon profitieren wir heute in der Reha und in Fitnessstudios. Ein schönes Beispiel ist zudem die E-Nose. Ursprünglich auch von der ISS, soll sie künftig helfen, bakterielle und virale Atemwegserkrankungen zu unterscheiden und pandemieauslösende Erreger wie SARS-CoV-2 zu identifizieren. Eigentlich macht sie auf der ISS Bakterien und Viren ausfindig.

Ein großes Thema ist aktuell die Energie- und Verkehrswende. Dabei ist immer wieder von Brennstoffzellen die Rede.

Dr. Zeitler: Auch da bietet die Raumfahrt langjährige Expertise. Bereits bei der Apollo-Mission in den 60er Jahren wurden Brennstoffzellen für die Energieversorgung eingesetzt. Ein wichtiger Aspekt ist aber auch die Energiespeicherung, denn wir wollen ja möglichst weit kommen. Bei den Energiespeichern ist es deshalb elementar, Gewicht einzusparen. Denn jedes ins Weltall transportierte Kilogramm kostet viel Geld. Und im Auto kostet es wertvolle Kilometer.

Arbeiten Sie im DLR direkt mit der Mobilitätsbranche zusammen, um das Wissen weiterzugeben?

Dr. Zeitler: Ja, das ist uns tatsächlich ein wichtige Anliegen. Deshalb gibt es seit 2018 das INNOspace-Netzwerk „Space2Motion“, das gezielt für Akteure aus der Automobil- und Mobilitätsbranche und der Raumfahrt etabliert wurde. Die Initiative INNOspace selbst, wo dieses Netzwerk als eines von mehreren angesiedelt ist, existiert bereits seit 2014. Das Ziel ist es, Innovationen und branchenübergreifende Technologietransfers zu fördern. Denn oft beschäftigen die verschiedenen Akteure ähnliche Fragestellungen.

Ist deshalb auch die branchenübergreifende Zusammenarbeit so wichtig?

Dr. Zeitler: Absolut. Wir haben in den letzten Jahren verstärkt gesehen, dass die Herausforderungen für alle Wirtschaftszweige durch Digitalisierung und Industrie 4.0 immer ähnlicher werden. Die Raumfahrt gilt oft als fern und abgehoben. Die Erfahrung jedoch zeigt, dass sie in Detailfragen zu Antrieben, Materialien und Strukturen sehr ähnlich zu anderen Branchen ist.

Wie schaut es beim internationalen Miteinander aus?

Dr. Zeitler: Durch die internationale Zusammenarbeit können Kompetenzen gebündelt werden, um die großen technologischen Herausforderungen in der Raumfahrt zu meistern. Das ist zum Beispiel bei der ISS der Fall, wo mehrere Nationen kooperieren, aber auch im Rahmen der European Space Agency (ESA). Zudem ist es dank globaler Kooperation bei der Internationalen Charta für Weltraum und Naturkatastrophen möglich, im Katastrophenfall mithilfe von Satellitenbildern schnell einen Überblick zu bekommen und Hilfsmaßnahmen einzuleiten.

Gibt es bei der Vielzahl an Akteuren in der Weltraumforschung auch Herausforderungen?

Dr. Zeitler: Eine der größten Herausforderungen ist tatsächlich, dass bei kommerziellen Raumfahrtaktivitäten – wie Satelliten für ein globales Internet – tausende kleine Satelliten ins All geschickt werden. Die Anzahl explodiert förmlich. Um Unmengen Weltraumschrott zu vermeiden, muss dieses Aufkommen reguliert werden. Das erfordert eine stärkere Zusammenarbeit aller Raumfahrtnationen.

In den letzten Jahren ist mit der New-Space- Bewegung viel Bewegung reingekommen.

Dr. Zeitler: Ja, Start-ups haben oft ungewöhnliche Ideen, die auch für größere Unternehmen relevant sein können. Da kleinere Satelliten und Softwareanwendungen immer wichtiger werden, können eben auch Start-ups ohne große Finanzkraft punkten.

Was empfehlen Sie Unternehmen aktuell ganz besonders?

Dr. Zeitler: Vernetzen Sie sich mit Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus anderen Branchen, denn zunehmend entstehen genau so neuartige, zukunftsweisende Lösungsansätze.

Fotos/Illustrationen: DLR