17.05.2019

4 Fragen an Ska Keller (Die Grünen)

Nachrichten | Politik

Franziska Maria „Ska“ Keller (37) wurde 2009 im Alter von 27 Jahren erstmals ins Europäische Parlament gewählt. Dort ist sie seit 2016 gemeinsam mit Philippe Lamberts Co-Vorsitzende der Grünen/EFA-Fraktion.

AGA: Warum sollten alle Bürger Europas wählen gehen? 

Ska Keller:  „Wir stehen an einem entscheidenden Moment in der Geschichte Europas: Fallen wir zurück in einen gefährlichen Nationalismus, der in der Geschichte immer zu großen Katastrophen geführt hat? Kapituliert die Politik vor der Globalisierung? Oder erneuern wir Europa als starke Gemeinschaft und bauen ein Europa des Klimaschutzes, der Demokratie und der Gerechtigkeit? Wir setzen auf Zusammenarbeit und wir glauben an die EU. Wir finden allerdings, dass sie besser werden muss: ökologischer, sozialer, gerechter. Mit einem klaren Ja zu Europa aber auch einem Ja zur Veränderung Europas können wir das schaffen. Deswegen ist diese Wahl entscheidend für jede und jeden in Europa. Und deswegen sollten alle, denen unsere Zukunft wichtig ist, am 26. Mai wählen gehen - am besten Grün!“

AGA: Warum sollten die Bürger gerade Ihre Partei wählen?

Keller:  „Europa und seine Menschen sind so herausgefordert wie lange nicht mehr: Zum ersten Mal will mit Großbritannien ein Land die EU verlassen. In einigen Mitgliedsstaaten regieren Faschisten*innen und Antieuropäer*innen, in diesen und anderen höhlen autoritär agierenden Regierungen den demokratischen Rechtsstaat aus und greifen die sexuelle Selbstbestimmung an. Die Partnerschaft mit den USA hängt am seidenen Faden und währenddessen fliehen Menschen vor Krieg, Verfolgung und Hunger, erhitzt sich unser Planet rasant, werden Vielfalt und Gleichberechtigung angegriffen, haben viele trotz Arbeit kaum Chancen, der Armut zu entkommen, wächst die Ungleichheit innerhalb und zwischen den europäischen Mitgliedsländern, verändern Globalisierung und Digitalisierung radikal unsere Art, zu leben, zu denken, zu arbeiten.

Wir geben nicht wie populistische Parteien einfache, sondern ehrliche Antworten und gehen diese Herausforderungen selbstbewusst und entschlossen an. Denn nur, wenn wir uns etwas zutrauen, können wir gemeinsam der Politik ihre Handlungsfähigkeit zurückgeben. Im Jahr 2019 finden Sie keine politische Kraft, die entschlossener für ein geeintes, ökologisches, feministisches und gerechtes Europa arbeitet. Deshalb ist eine Stimme für Bündnis 90/Die Grünen eine Stimme für die Zukunft Europas.“

AGA: Welches sind die größten Herausforderungen in der EU in den kommenden Jahren und wie wollen Sie diese lösen? 

Keller: „Die Klimakrise ist eine der größten Herausforderungen unserer Generation. Versagen wir bei der Eindämmung der Krise, haben wir als politische Generation versagt. Mit Klimaschutz schützen wir nicht nur (und noch nicht einmal in erster Linie) Arten und Natur. Wir schützen unsere Lebensgrundlagen, aber auch die liberale Demokratie, ein Gemeinwesen, das in der Lage ist, wertebasierte Politik zu machen. Und wir schützen die ökonomische Basis, auf der wir unsere Politik aufbauen. Wir leben bereits in einer Welt, die sich um ein Grad erwärmt hat, eine weitere Erwärmung müssen wir stoppen. Deshalb müssen wir unsere Emissionen massiv reduzieren: Wir fordern einen europaweiten Kohleausstieg, einen deutlich schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien, einen wirksamen CO2-Mindestpreis und echtes Umsteuern in allen Sektoren: von Verkehr über Landwirtschaft bis zum Finanzwesen müssen die Klimaziele eine zentrale Rolle spielen.

Eine zentrale Herausforderung ist jedoch auch, dass die Lebensverhältnisse zwischen den Mitgliedstaaten und innerhalb der Länder auseinanderklaffen. Wir wollen mehr gegen Ungleichheit und Ungerechtigkeit unternehmen. So bestehen beispielsweise weitreichende wirtschaftliche Freiheiten im Binnenmarkt, gemeinsame Arbeits- und Sozialstandards sind hingegen unterentwickelt. Deshalb wollen wir auf europäischer Ebene Mindeststandards schaffen. Ebenso gilt es, endlich diejenigen Unternehmen zu besteuern, die bislang so gut wie keine Abgaben zahlen und Steuergerechtigkeit herzustellen sowie endlich sicherzustellen, dass Männer und Frauen für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten.

Ein dritter Schwerpunkt ist unser Kampf für eine offene Gesellschaft und gegen Populismus und Rassismus. Homophobie, Sexismus und Diskriminierung haben in unserem Europa keinen Platz. Niemand darf in Europa aufgrund der Herkunft, des Aussehens oder des Glaubens diskriminiert oder angefeindet werden. Deshalb stehen wir klar an der Seite derer, die Minderheiten verteidigen, Fluchtursachen statt Flüchtlinge bekämpfen und sich für ein menschliches Europa einsetzen.“

AGA: Welche Rolle spielt die deutsche Außenwirtschaft in Europa und in der gesamten Welt? 

Keller: „Der Im- und Export ist sowohl im EU-Rahmen als auch global ein wichtiger Teil der deutschen Wirtschaft. Deutschland hat durch seine Exporte von über 1,3 Billionen Euro, davon über 500 Milliarden in Drittländer außerhalb der EU als großer Handelspartner ein Gewicht, das es zu dazu zu nutzen gilt, Umwelt- und Klimaschutz, Menschenrechte, Entwicklung und soziale Gerechtigkeit voranzubringen. Da Handelsverträge auf europäischer Ebene ausgehandelt werden, sollte sich Deutschland hier dafür einsetzen, dass Verträge nur mit Partnerländern erstrebt und abgeschlossen werden, die das Pariser Klimaabkommen mittragen und ökologisch produzierte Waren stärker bevorzugen und damit zu einem aktiven Bestandteil einer Konversion in Richtung einer nachhaltigen Produktion werden. Das würde auch der deutschen Außenwirtschaft wieder neue Impulse geben. Ebenso sollen Handelsverträge soziale Gerechtigkeit, faire Produktions- und Arbeitsbedingungen und Menschenrechte unterstützen. Menschenrechte und die Arbeitnehmerschutzrechte der Internationalen Arbeitsorganisation, also die ILO-Kernarbeitsnormen, müssen im Handel fest verankert werden, und ihre Verletzung muss einklagbar sein.

Schlussendlich muss die WTO so reformiert werden, dass sie der Ankerpunkt des globalen Regelwerkes für Handel bleibt. Das ist gerade für die deutsche Außenwirtschaft besonders wichtig. Wir Grünen erteilen der amerikanischen Handelspolitik, die die WTO-Regeln außer Kraft setzen will, eine entschiedene Absage. Aber wir meinen auch, dass diese Regeln der veränderten Realität globaler Lieferketten angepasst werden müssen. So verlangen Grüne über die WTO ausgehandelte, sozial und ökologisch nachhaltige, Regeln, z.B. für die globale Textillieferkette.“

Foto: Dominik Butzmann

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