16.11.2021

Die Videokonferenz – der neue Standard in der Arbeitswelt?

Nachrichten | Unternehmen | Digitalisierung | Magazin | Recht

Spätestens seit dem ersten Corona-Lockdown im Frühjahr 2020 gehören Videokonferenzen in vielen Unternehmen zum Alltag. Standortübergreifend werden mit wenigen Klicks Meetings durchgeführt, für die zuvor quer durch Deutschland gereist wurde. Videokonferenzen sparen Zeit und tragen dazu bei, die betrieblichen Abläufe bestmöglich zu organisieren.

Und selbst für Gerichtstermine hat die Videokonferenz Einzug in das Arbeitsleben gehalten. Die neun Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte des AGA haben im letzten Jahr in zahlreichen Fällen die Prozessvertretung vor dem Arbeitsgericht per Videoverhandlung durchgeführt. Möglich war dies durch eine temporär, im Zuge der Pandemie eingeführte Regelung im Arbeitsgerichtsgesetz (§ 114 ArbGG). Diese ordnete an, dass die Arbeitsgerichte während des Andauerns der epidemischen Lage von nationaler Tragweite vermehrt Videoverhandlungen gestatten sollen. Bei weitem keine Selbstverständlichkeit – denn grundsätzlich sind Gerichtsverfahren von den Prinzipien der Öffentlichkeit, Unmittelbarkeit und Mündlichkeit geprägt.

Ausdruck finden diese Prinzipien in einer mündlichen Verhandlung, bei der alle am Verfahren Beteiligten sowie die Öffentlichkeit in einem Gerichtssaal zusammenfinden. Allerdings war die gerichtliche Videoverhandlung in der Theorie auch schon zuvor durch den bereits im Jahr 2002 geschaffenen § 128a Zivilprozessordnung (ZPO) möglich. Danach kann das Gericht den Parteien und ihren Bevollmächtigten gestatten, an einer mündlichen Verhandlung durch Bild- und Tonübertragung teilzunehmen. In der Praxis spielte diese Möglichkeit zuvor aber wegen der nicht ausreichend vorhandenen technischen Ausstattung der Gerichte keine echte Rolle. Hier hat die Gerichtsbarkeit mittlerweile aber erheblich nachgebessert, sodass die AGA-Rechtsabteilung inzwischen viele Verhandlungstermine aus dem eigenen Büro heraus wahrnehmen kann. Ob dies dem Verhandlungserfolg immer zuträglich ist, kann natürlich kontrovers diskutiert werden. Tatsache ist aber, dass auch viele Richterinnen und Richter auf diese "schlanke" Art der Verfahrensführung nicht mehr verzichten möchten, zumindest für die im Arbeitsgerichtsverfahren zwingend vorgeschriebene Güteverhandlung.

Für Mitarbeitergespräche, bereichsübergreifende Meetings oder den Austausch im Betrieb im Allgemeinen gilt dies erst recht: Die Videokonferenz ist DAS Kommunikationsmittel der heutigen Zeit. Ein Mehrwert gegenüber einer einfachen Telefonkonferenz entsteht aber nur dann, wenn auch alle Beteiligten von der Videofunktion Gebrauch machen, also die Kamera während der Konferenz eingeschaltet wird. "Eine häufig gestellte Frage unserer Mitglieder im Zusammenhang mit Videokonferenzen ist, ob Vorgesetzte von ihren Beschäftigten das Einschalten der Kamera verlangen dürfen – und die Weigerung gegebenenfalls mit arbeitsrechtlichen Mitteln sanktioniert werden kann", erklärt AGA-Rechtsanwalt Dennis Siggelow.

So kommt es durchaus vor, dass Arbeitnehmer die Kameranutzung mit dem Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte verweigern. Dieses Argument greift in der Regel aber zu kurz. Wenn sich die Beschäftigten zum Zeitpunkt der Videokonferenz in den Büroräumen des Unternehmens befinden, kann eine Kameranutzung uneingeschränkt verlangt werden. In diesem Fall könnte der Vorgesetzte genauso gut eine Präsenzbesprechung durchführen. "Daher entspricht auch die Anordnung einer Videokonferenz unter tatsächlicher Nutzung der Kamera billigem Ermessen i.S.v. § 106 GewO und kann vom Arbeitgeber angewiesen werden", weiß Rechtsanwalt Dennis Siggelow. „Voraussetzung sollte allerdings sein, dass die Anordnung gegenüber allen Teilnehmenden der Videokonferenz ergeht und Vorgesetzte die Kamera ebenfalls aktiviert haben."

Arbeiten Beschäftigte hingegen im Homeoffice, ist die Sachlage eine andere: Hier könnten bei einer Videokonferenz auch Einrichtungsgegenstände, Bilder oder sogar Familienangehörige im Bild zu sehen sein. In diesem Fall wird durch die Bildübertragung erheblich in das Persönlichkeitsrecht der eingegriffen. Allerdings lässt sich dieses Problem regelmäßig dadurch lösen, dass der Videohintergrund durch die Videokonferenz-Software "weichgezeichnet" oder ausgetauscht wird. Dadurch wird der persönliche Bereich der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinreichend geschützt. In aller Regel ist die Teilnahme an Videokonferenzen "mit Bild" daher auch in den eigenen vier Wänden nicht zu verweigern.

ArbeitsbedingungenZufriedenheit am Arbeitsplatz